Nutzung der Flussperlmuschel
Die Flussperlmuschel wurde, solange ihre Populationen noch ausreichend groß waren, auf vielfältige Art und Weise genutzt, wobei selbstverständlich die Perlen im Vordergrund standen. In Europa kann man die systematische Nutzung der Tiere auf urkundlicher Basis bis in das 12. Jahrhundert zurückverfolgen. Aus dem deutschsprachigen Raum datiert die erste Urkunde, in der über den Perlenreichtum der bayerischen, schlesischen und tschechischen Bäche berichtet wird, aus dem Jahr 1437. In den folgenden Jahrhunderten wurde die Perlfischerei in großem Stil betrieben. Weltliche Lehensherren und Klöster schickten ausgebildete Perlfischer aus, die die Bestände systematisch nach Perlen absuchten, allerdings ohne die Tiere dabei zu töten.
Der überwiegende Anteil der gewonnenen Süßwasserperlen wurde in der Schmuckerzeugung und zur Verzierung von Kleidungsstücken verwendet. Zu den bekanntesten Beispielen gehören neben der mit heimischen Perlen verzierten österreichischen Kaiserkrone auch klerikale Kunstwerke, darunter eine mit knapp 4.000 Perlen besetzte Mitra aus dem Stift Suben und ein Messgewand aus dem Prämonstratenser Chorherrenstift Schlägl, das eine aus etwa 10.000 Perlen gestickte Christusfigur zeigt. Diese Zahlen erscheinen umso phantastischer, wenn man bedenkt, dass im Schnitt nur in jeder dreitausendsten Muschel eine verwertbare Perle zu finden ist.
Im Jahr 1637 erschien ein Buch, verfasst vom Stadtmedicus von München, einem gewissen Malachias GEIGER mit dem Titel "Margaritologia - Die Schrift über die Heilkraft bayerischer Flußperlen". Darin finden sich nicht weniger als 15 Rezepturen für Heil- und Arzneimittel, die unter den Ingredienzen unter anderem Teile der Flussperlmuschel beinhalten. Diese Mittel sollten Epilepsie heilen können, aber auch bei der Verhütung von Schlaganfällen und gegen melancholische Stimmungen helfen. Sogar die gefürchtete Pest sollten sie heilen können. Ein gewisser Andreas Glorez schreibt im Jahr 1719 unter anderem, dass "die Perlen-Mutter" ein Mittel "vor das Fieber" sei.
Was für den Menschen gut war, konnte auch dem Vieh und den Haustieren helfen. Aus dem Jahr 1729 ist die Geschichte eines Bauern aus Oberfranken überliefert, dessen Ochse an einem Augenleiden erkrankte. Der Bauer erhielt den Rat, Muscheln zu pulverisieren und dieses Pulver dem Tier in das kranke Auge zu blasen. Ob diese Behandlung die gewünschte Wirkung zeigte, wird in der Überlieferung verschwiegen.
In Anbetracht der großen Mengen von Perlmuscheln in den Bächen kamen sie aber auch in wesentlich profanerer Verwendung zum Einsatz. So kursieren viele Gerüchte und Geschichten in der historischen Literatur, nach denen zur Zeit der Napoleonischen Kriege die französischen "an Austernkost gewöhnten Soldaten" auf dem Durchmarsch durch Bayern und Tschechien die Süßwassermuscheln mit großem Genuss verzehrt haben. Sogar deutsche Landsknechte sollen nach diesem Vorbild wiederholt Genuss an Muschelmahlzeiten gefunden haben.
In Notzeiten war die Verfütterung der Perlmuscheln an Enten und Schweine durchaus üblich. Selbst in den Zeiten großer Armut während und nach dem Zweiten Weltkrieg soll in manchen Gegenden Bayerns und Oberösterreichs auf diese bewährte und billige Tiernahrung zurückgegriffen worden sein.
Die Schalen fanden ebenfalls Verwendung. Sie kamen beispielsweise als Schaber zum Einsatz, um nach der Schlachtung von Schweinen die Borsten zu entfernen.
Solche Schaber liegen noch heute in vielen Gehöften in einem vergessenen Winkel. Sie sind zwar in der Regel nur einige Jahrzehnte alt, beweisen aber durch ihre Existenz, dass die Muscheln in einer Zeit, als sie auch in unserer Heimat noch häufig vorkamen, auf vielfältige Weise genutzt wurden.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann man zudem mit dem Einsammeln der Muschelschalen, um in Fabriken Perlmutt daraus zu gewinnen. Dieser Industriezweig führte zu drastischen Rückgängen nicht nur in den Perlmuschelbeständen. Für die Gewinnung des Perlmutts, aus dem dann neben anderen Accessoires künstliche Perlen erzeugt wurden, eignen sich auch die Schuppen verschiedener Fischarten. Aus den in den Schuppen eingelagerten Guaninkristallen gewann man das sogenannte Fischsilber. Eine dieser Fischarten ist die auch bei uns heimische Laube (Alburnus alburnus L.), die damals vor allem in manchen Gegenden Deutschlands ebenfalls an den Rand der Ausrottung gedrängt wurde.